Wer sich heute im Studio Johann Sebastian Bachs Violinkonzerte vornimmt, schreibt sich in eine fast einhundertjährige und legendäre Aufnahmegeschichte ein—ob er will oder nicht. Geiger wie Fritz Kreisler, Jascha Heifetz, Yehudi Menuhin, Igor und David Oistrach bis in die jüngste Vergangenheit zu Hilary Hahn, Julia Fischer oder Anne-Sophie Mutter—sie alle haben sich mit diesen Werken auseinandergesetzt und Einspielungen vorgelegt.
Und jetzt eine mehr: die 30-jährige russische und in London ausgebildete Geigerin Alina Ibragimowa. Ihr zur Seite: das britische Alte-Musik-Ensemble Arcangelo unter der Leitung von Jonathan Cohen.
Neben den beiden berühmten Violinkonzerten in a-Moll und E-Dur sind auf dieser CD noch zwei Konzerte zu hören, die vor allem als Cembalokonzerte bekannt sind mit den BWV-Nummern 1052 und 1055. Beiden Konzerten soll jedoch jeweils ein Violinkonzert zugrunde gelegen haben, und so wurden diese gewissermaßen "zurückrekonstruiert". Das fünfte Konzert auf diesem Album, das Konzert in A-Dur BWV1055, war ursprünglich ein Konzert für Oboe d'amore, bevor es Bach für Cembalo umgearbeitet hat. Alina Ibragimowa wiederum spielt die daraus rekonstruierte Fassung für Violine. Solche Adaptionen, Übernahmen und Transkriptionen waren jedoch gang und gäbe im 18.Jahrhundert und folgen damit dem historischen Zeitgeist.
Impulsiv, erfrischend und frei von ehrfurchtsvoller Erhabenheit nähern sich Alina Ibragimowa, Jonathan Cohen und das Originalklang-Ensemble Arcangelo diesen Konzerten von Johann Sebastian Bach. Vor sechs Jahr hat Alina Ibragimowa bereits die Solo-Sonaten und Partiten aufgenommen und durch ihr transparentes Bach-Spiel überzeugt. Mit der aktuellen Ensemble-CD begeistert sie einmal mehr. Unglaublich beweglich und präzise spielt sie in der Gruppe, tritt immer wieder energisch hervor und legt in den langsamen Sätzen rhapsodisch und frei schwingend ihre Linie über das stete Bassfundament. Arcangelo ist mit zügigen Tempi dabei, schärft Kontraste und deckt eine große dynamische Bandbreite ab. Stilsicher und mit unbändiger Musizierlust wird hier bekanntes Repertoire spannend und neu hörbar gemacht. Ein Highlight auf dem CD-Markt zum Jahresende.