Hartmut Hein
Klassik.com, Germany
März 2017
PERFORMANCE
RECORDING

Phasenweise etwas bieder sind sie kompositorisch schon gestaltet, diese beiden Klaviertrios von Tanejew und Rimskij-Korsakow. Letzterer hielt voller Selbstzweifel sein c-Moll-Werk sogar für so misslungen, dass er es regelrecht unfertig ließ. Maximilian Steinberg hat die gängige Aufführungsversion nach einer wohl keineswegs nur ‚groben Skizze‘ aus Rimskij-Korsakows vergeblichen Versuchen erstellt, sich im Jahre 1897 auch als Kammermusik-Komponist zu etablieren. Tatsächlich wird einiges eher konventionelles Material über Gebühr in die Satz-Längen entfaltet—mit recht wenig Idiomatischem für die national ausgerichteten Ansprüche des Petersburger ‚Mächtigen Häufleins‘.

Ähnliches gilt auch für Tanejews deutlich an Tschaikowskys Klaviertrio op. 50 orientiertes D-Dur-Trio von 1907: Der ‚symphonischen‘ Ausdehnung auf fast 40 Minuten steht besonders im Kopfsatz das mehr als erschöpfend wiederholte ‚russisch-rauhe‘ Kopfthema wie ein Hemmschuh entgegen, und das Salonhafte im Kantilenen-geschwängerten 'Andante espressivo' muss durch überzeugende Interpretation erst vor dem Kitschverdacht gerettet werden. Dennoch gibt es eine gewisse nationale russisch-sowjetische Aufführungstradition mit dem Oistrakh-Trio im Mittelpunkt, das beide Werke eingespielt und wohl regelmäßig aufgeführt hat (die bekannten Mono-Aufnahmen aus den 1950er Jahren finden sich u.a. in der ganz dem Trio gewidmeten Brilliant-Classics-Box aus der Russian-Archives-Reihe). Auch neuere gute Ansätze mit dem Borodin-Trio (Label Chandos: bereits ein Brückenschlag von Russland nach London) oder auf einer Tanejew-Platte mit Mikhail Pletnew (DGG 2005) und in einer Tanejew-Anthologie aus dem Hause cpo (siehe Hinweise unten) gibt es. Repertoirepolitisch bestand nicht unbedingt Notwendigkeit zur Neuaufnahme, auch wenn es ganz gut in die durchaus russophilen Aufnahmeaktivitäten des Leonore-Trios zu passen scheint, sich auch hier mit David Oistrach, Serhej Knuschewitzki und Lev Oborin zu messen.

Während deren Aufnahme des Rimskij-Korsakow-Trios von 1952 vor allem durch die ganz individuelle Aura der einzelnen Instrumentalisten besticht—Oistrachs immer dick leidenschaftlichem, durchweg expressiv-emphatischem Geigenton steht mit Lev Oborin, Enkelschüler Tanejews und Lehrer u.a. von Ashkenazy und Rösel, ein recht sachlich-kühler Vertreter der Moskauer Klavierschule gegenüber—und der durchaus trennscharf-präsente Monoklang doch etwas angegraut wirkt, stellt die Lesart der Briten doch eine deutliche Modernisierung dar. Zwar pflegt Geiger Benjamin Nabarro in den langsamen Sätzen doch kleine Portamenti und expressive Vibrato-Schweller, den Puls geben aber der im rhythmischen Drive wie der Anschlagsvarianz exzellente Klavierpart von Tim Horton und Gemma Rosefields immer recht entspannt-lockere Einfügung der Cello-Linien vor, blendend intoniert wie ausphrasiert (diese perfekte und dennoch expressive Spielkultur scheint 1952 mehr oder minder im auratisch ausgerichteten Live-Anspruch geradezu utopisch).

Es handelt sich keineswegs um eine ‚kühle‘ Neu-Aufnahme: Bei aller Homogenität des inzwischen über Jahre eingespielten Ensembles wird doch die individuelle Stärke und Färbung jeder Stimme deutlich. Allen dreien scheint bewusst, dass tatsächlich nur ein höchst angriffslustiger, pointierter Zugang der Interpretation, ein wahrlich hörbar lustvolles Spielen diese in Thematik und Formablauf ziemlich konventionellen und langatmigen Stücke rettet. Kompositorisch die deutlichste Ausnahme und auch interpretatorisch der Höhepunkt ist der zweite Satz des Tanejew-Trios: Die in ein scherzohaftes, entsprechend spukhaft-rasant genommenes 'Allegro molto' eingebettete Variationenfolge besitzt so überraschende und in dramaturgischem Geschick hinreißende Klang-Wendungen, dass man den seine Einfälle oft etwas auf der Stelle festtretenden Kopfsatz schnell vergisst. Und man erfährt auch Tanejews kontrapunktische Qualitäten im differenzierten Bild, das im gleichberechtigten Zusammenspiel entsteht.

Wie man Rimskij-Korsakows Problemkind durch zähe ‚sentimentale‘ Tempi und wenig Klangfantasie weitgehend töten kann, haben vor 15 Jahren die Bekova Sisters vorgeführt; die neue Aufnahme des Leonore Trio stellt hingegen die klassizistischen Stärken der Petersburger Gattungsvision von 1897 in den Vordergrund und gewinnt dadurch manch positive Perspektive auf die Klangmöglichkeiten des Stücks zurück. Wenngleich der Booklettext anfangs recht weitschweifend Tanejew-Tschaikowsky-Verhältnisse in den Vordergrund schiebt, ist die Werkeinführung doch hinreichend gut und das stimmungsvolle Coverbild, eine Sadko-Unterwasser-Fantasie von Yefimovich Repin, einfach so ansprechend, dass mancher auch deshalb sicher gerne diese CD in seinem Schrank haben möchte. Eine rundum lohnende Anschaffung.

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