Florian Schreiner
Klassik.com, Germany
April 2017
PERFORMANCE
RECORDING

Das kammermusikalische Schaffen Max Bruchs ist nur wenig bekannt. Im Grunde aber gilt das für weite Teile des 1838 in Köln geborenen Komponisten, denn im Zentrum breiter Aufmerksamkeit steht weiterhin das seit seiner Uraufführung beliebte Violinkonzert Nr. 1 g-Moll. Unbeachtet bleibt Bruchs Sinfonik und Chormusik, und auch des bemerkenswert schmalen kammermusikalischen Œuvres nehmen sich Interpreten nur selten an. Da ist es umso erfreulicher, wenn auf dem Tonträgermarkt etwas mehr Rührigkeit herrscht. Brilliant etwa brachte vor kurzem eine spannende Aufnahme der beiden Streichquartette heraus, ergänzt um ein erst jüngst entdecktes Werk des jungen Bruch. Vorliegende bei Hyperion Records erschienene Aufnahme gleicht einem Rundumschlag auf kammermusikalischem Gebiet. Zu finden ist das Streichquartett Nr. 1 c-Moll op. 9, das Klavierquintett g-Moll sowie die unter der Opuszahl 63 zusammengefassten 'Schwedischen Tänze' für Violine und Klavier. Verbindendes Element dieses breiten Besetzungspanoramas ist die Geigerin Dene Olding, Primaria des australischen Goldner String Quartet und Kammermusikpartnerin des Pianisten Piers Lane in den 'Schwedischen Tänzen'; in Bruchs g-Moll-Klavierquintett steht Piers Lane, den eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Goldner String Quartet verbindet, der Quartettformation zur Seite.

Das Goldner String Quartet (Dene Olding und Dimitry Hall, Violine, Irina Morozova, Viola und Julian Smiles, Violoncello) hat sich bei Hyperion zu einem der ‚Hausensembles‘ herausgebildet, wobei bislang vor allem russisches Repertoire den Hauptanteil der erschienenen Aufnahmen bildet. Das Ensemble kultiviert einen individuellen Klang, der vor allem auf dem feinnervigen Violinton Dene Oldings basiert. Ihr Violinklang ist vergleichsweise schlank, stellenweise fast dünn, und von einem schnellen Vibrato geprägt. Das verleiht dem Gesamtklang etwas Lichtes, leicht Metallisches, gleichzeitig erscheint er etwas nervös. Daher fallen Passagen, in denen der Klang abgedunkelt wird und zu einem samtigen Amalgam zusammenwächst, umso stärker ins Gewicht—etwa in den choralhaften Akkordverschiebungen am Kopfsatzbeginn des Klavierquintetts (dem allerdings nach diesem hohe Erwartungen schürenden Beginn ein kompositorisch leichtgewichtigerer Allegro-Teil folgt).

Die Stimme der Primaria ist beim Goldner String Quartet in den lichten, zuweilen auf durchaus ansprechende Weise etwas aufgekratzt wirkenden Gesamtklang eingebettet. Diese klangliche Gleichberechtigung verschafft dem Quartett nicht nur die Möglichkeit, das Stimmengeflecht in den verdichteten Verarbeitungsabschnitten des ersten Satzes im c-Moll-Quartett plastisch zu verdeutlichen, sondern vor allem im 'Adagio'-Satz die anfangs beinahe unbeweglich in langen Notenwerten zunächst wie ein Klangband wirkende Linie der ersten Violine gegenüber den begleitenden und in ihrer Figuren fast ‚melodischer‘ wirkenden Unterstimmen zurückzunehmen, wodurch sich ein reizvolles Spiel satztechnischer Ebenen mit changierendem Vorder- und Hintergrund entfaltet. Neben den ruhig ausgesungenen langsamen Sätzen des Streichquartetts wie auch des Klavierquintetts zeigen die Musiker in den Scherzo-Sätzen Agilität und formen die tänzerisch beschwingte Musik auch im Finale des Quintetts mit dynamisch fein abgestimmten Nuancen zu einem überzeugenden Ganzen.

Stets aber zeigt sich der interpretatorische Zugang des Goldner String Quartet wie auch des Pianisten Piers Lane auf Deutlichkeit ausgerichtet—expressiver Überschwang ist hier nicht zu finden. Das macht den Zugriff nicht unattraktiv, doch wäre es zwischenzeitlich doch wünschenswert, die Musiker würden etwas kräftiger zulangen, im Lyrischen mit mehr Emphase wie im Dramatischen mit mehr Explosivkraft. Das Musizieren wirkt ein wenig gebremst, auch in Bezug auf die agogische Unterstützung musikalischer Charaktere und deren Gegensätze. In den 'Schwedischen Tänzen' ist ein sorgsam abgestimmtes Musizieren zwischen Dene Olding und Piers Lane zu erleben, wobei gerade die langsamen Sätze ein wenig mehr tonliche Rundung und Substanz der Geigerin vertragen würden.

Etwas unausgeglichen kommt auch der Einführungstext daher, der das Kammermusikwerk im Schaffen Bruchs überzeugend verortet, in den Einführungen zu den Einzelwerken jedoch beim Navigationsplan formaler Abschnitte steckenbleibt, ohne das Interessante und Ansprechende von Bruchs musikalischen ‚Inhalten‘ herauszuarbeiten. Das steigert auf jeden Fall nicht die Lust, sich den Werken in ihrer klingenden Gestalt zuzuwenden. Die klangliche Präsentation lässt indes kaum Wünsche offen; die Balance zwischen Streichern und Klavier ist ausgewogen.

Klassik.com, Germany