RECORDING
John Tavener, besser gesagt Sir John Tavener—der 1944 in London geborene, 2013 in Dorset gestorbene Komponist wurde im Jahr 2000 für seine Verdienste um die britische Musik zum Ritter geschlagen—gilt als einer der bedeutendsten Schöpfer vor allem geistlicher Chorwerke der vergangenen Dekaden. Nicht zu Unrecht wird er oft mit Arvo Pärt verglichen. Beide begannen experimentell und wandten sich dann rasch einer verschiedenen Stile verbindende, dabei tief in der (orthodoxen) Spiritualität und Mystik wurzelnden Tonsprache zu. Sie verzichtet weitgehend auf Atonalität, Dissonanzen und Chromatik und bezieht ihre tatsächlich nicht selten in den Bann ziehende Wirkung aus Elementen wie Diatonik, Homophonie und Klangfarbe.
Man kann darüber streiten, und hat das auch schon zur Genüge getan, ob und inwieweit die Musik der beiden (Klang-)Magier zum Kitsch tendiert. Die tatsächlich reichlich kitschige Cover-Illustration der vorliegenden CD und ihr Titel «Angels» setzen auch auf diese Karte – doch diese Dinge bleiben der ganzen Sache letztlich äußerlich. Denn die «inneren Werte» der Aufnahme—Interpretation, Werkauswahl, Dramaturgie und nicht zuletzt Raumakustik—stimmen hier auf eine Art und Weise, für die es nur ein Wort gibt: beglückend!
Der Organist und Chorleiter Martin Neary, der viele Werke des britischen Komponisten (ur-) aufgeführt hat, schreibt im Booklet: «Sir John Tavener liebte die Kathedrale von Winchester, ich glaube, man kann sagen, dass sie zu einer spirituellen Heimat für ihn wurde und—wie das Album triumphierend beweist—schlicht ideal für seine Musik ist.» Was den klingenden «Beweis» auf der CD betrifft, kann man Neary nur zustimmen. Hyperion Records, für seine akustisch exzellenten Aufnahmen zu Recht berühmt, übertrifft sich hier gleichsam noch einmal selbst.
Die Werke—unter anderem «God Is with Us» als Aufmacher, «They Are All Gone into the World of Light», «Annunciation », «As One Who Has Slept», das titelgebende Stück «Angels» und, zum fulminanten Schluss, der Zyklus «Five Anthems from The Veil of the Temple»—werden von dem Winchester Cathedral Choir mit einer artikulatorischen Prägnanz, stimmlichen Meisterschaft und vor allem rückhaltlosen Würde interpretiert, ja vielmehr zelebriert, dass es unter die Haut geht, selbst, wenn man zu den Tavener-Pärt-SkeptikerInnen gehören sollte. Natürlich darf auf einer Tavener-CD, die «Angels» heißt, sein wohl bekanntestes Lied «Song for Athene» nicht fehlen (hier zu hören in einer Bearbeitung von Barry Rose), das bei der Beerdigung von Prinzessin Diana gespielt wurde und das—Kitsch hin oder her—sogar Steine zum Weinen bringen kann.