So offen wie Haydn neue Eindrücke aufgesaugt zu haben scheint, so anhaltend kreativ gestaltete sich seine Erfindungsgabe—bis hinein in seinen letzten großen Sixpack an Streichquartetten. Und so bildet das dem Grafen Erdödy gewidmeten op. 76 bis heute auch interpretatorisch eine große Herausforderung: Wie umgehen mit dem Spiel zwischen polyphoner und fast schon orchestraler Faktur (Nr. 1)? Wie die mitunter ausschweifenden Harmonien sauber fassen (Nr. 5)? Wie das gelegentlich ausbrechende Feuer im Ausdruck kontrollieren, ohne es zu löschen (Nr. 2)?
Fast anderthalb Jahrzehnte schon setzt sich das London Haydn Quartet mit den Werkes des Namensgebers auf Tonträger auseinander. Dies geschieht auf eine Weise, die immer wieder verblüfft: Statt das Bewährte auf die mit Darmsaiten bespannten Instrumente zu übertragen, werden die Originalitäten der Kompositionen hervorgeholt. Dabei mutet der Klang des Ensembles offener, aber eben weniger abgerundet an; gewonnen wird dadurch eine weitaus stärkere Charakterisierung des Individuellen. Selbstbewusst wird so auch das Allegro des Quinten-Quartetts bedeutend langsamer angegangen als gewöhnlich, wodurch der Satz vielschichtiger wirkt, als wenn man ihn (ja, ich mag das auch) in einem Furioso enden lässt. Emotionen werden hier dennoch nicht unter einer gepuderten Perücke versteckt; sie werden eben beherrscht und lassen dann auch Kontraste im Detail zu, bis hin zu nahe liegenden volksmusikalischen Allusionen (Nr. 3) oder eigenartigen Farbwirkungen unterschiedlicher Harmonien (Nr. 4). Einen etwas direkteren Ton hätte ich mir dennoch gewünscht.